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Gangleris Welt- Teil 3

Dies ist der dritte und letzte Teil von „Gangleris Welt“
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„Dreh dich nicht um.“, ertönte hinter mir plötzlich eine dunkle Männerstimme.
Doch noch bevor die Worte meine Gehirn erreicht hatten, fuhr mein Körper reflexartig herum. Aber ehe ich den Besitzer der Stimme sehen konnte, packte mich eine Hand kräftig an der Schulter und hielt mich fest.


„Sieh weiter auf das Wasser hinaus, wenn du nicht darin ertrinken willst! Elender Narr!“, herrschte mich die Stimme an. Ich tat wie mir geheißen, denn Gangleri war eindeutig nicht bekannt dafür, gegenüber den Wesen seiner Welt sehr langmütig zu sein.
„Hör mir jetzt gut zu.“, hörte ich ihn reden und es schien mir, als wäre seine Stimme das tosende Wasser und das tosende Wasser seine Stimme.
„Ich nehme an, dass du wenig Wert darauf legst, dein Herz der Gräfin Laufey zu überlassen. Ich verstehe, dass du es auch mir nicht wirklich überlassen möchtest, wenngleich mich das ein bisschen kränkt. Immerhin bist du Gast in meiner Welt. Einer Welt, wo das eigene Herz ein durchaus angemessenes Gastgeschenk darstellt.“
Ich zuckte hilflos mit den Achseln, wusste nicht was ich erwidern sollte, aber da redete Gangleri schon weiter: „Nun ja, andere Welten andere Sitten. Jedenfalls wäre es natürlich sehr schrecklich für dich, dein Herz an einen von uns beiden zu verlieren, zumal wir ja mit deiner Seele nichts anfangen können und sie wohl den Hunden in der Unterwelt als Spielzeug geben würden.“
An dieser Stelle legte er eine bedeutungsvolle Pause ein. Ich musste schlucken, denn was Gangleri da als Hunde bezeichnete, waren Wesen die mit Hunden höchstens die Fortbewegung auf vier Beinen gemeinsam hatten.
„Jedenfalls,“,fuhr Gangleri nun fort und das Wasser schien plötzlich ruhiger zu fließen, „möchte ich dir ein Angebot machen. Du erledigst einen Auftrag für mich, und wenn du damit fertig bist, entlasse ich dich aus meiner Welt. Wie klingt das?“
Es klang in jedem Fall besser als das Geräusch , mit dem Laufeys nadelspitze Zähne sich in mein noch pulsierendes Herz bohren würden.
„Und was müsste ich dafür tun?“, versuchte ich ein wenig Zeit zu schinden, während ich weiter auf das schnell strömende Wasser hinaus sah, dessen schäumen und sprudeln mich schon ganz schwindlig machte.
Gangleri lachte. „Du kennst die Regeln. Ja oder nein.“
Das war eine der großen Herausforderungen in Gangleris Welt. Es gab kein vorausschauendes Abwägen, kein herantasten an eine Aufgabe und schon gar keinen Rückzieher falls man den Anforderungen nicht gewachsen war. Man sagte ja oder nein und trug danach alle sich daraus ergebenden Konsequenzen.
„Ja.“, sagte ich leise.
„Dann gehst du jetzt in Laufeys Vergnügungspark. Sie verbirgt dort etwas, dass sie mir vor langer Zeit gestohlen hat. Finde es und bring es mir.“
Ich kam nicht mehr dazu, mich nach der Art des Diebesguts zu erkundigen. Ein harter Stoß traf mich an der Schulter und ich stürzte kopfüber ins schäumende Wasser. Die kalte Flut riss mich fort. Ich versucht zu schwimmen, doch im nächsten Augenblick stand ich auch schon mitten in Laufeys Vergnügungspark.
Es war einer der seltsamsten Orte an dem es mich je verschlagen hat. Menschen- massen drängten sich auf den Straßen zwischen fantastisch anmutenden Karussellen, Schießbuden, Riesenrädern und Süßigkeiten- ständen. Sie benutzten auch all diese Dinge, bewegten sich wie Menschen sich eben bewegen, zeigten die ent-sprechende Gestik und Mimik während sie sich in den wildesten Fahrgelegenheiten durch die Luft wirbeln ließen. Aber bei all dem treiben herrschte doch eine unablässige Stille dort. Kein aufgeregtes Kreischen war zu hören, kein Lachen, keine Worte. Die Fahrgeräte arbeiteten völlig lautlos. Wenn der leichte Wind dann und wann trockenes Laub durch die Straßen wehte, raschelte es nicht. Auch die Tageszeiten waren seltsam, wie mir nach einer Weile auffiel, denn es gab nur Nacht und Dämmerung, doch keinen Tag.

Ich begann also, durch den Vergnügungspark zu wandern und zu suchen, ohne zu wissen, wonach ich denn suchen sollte. Einige male versuchte ich, einen der Besucher dort zu fragen, ob sie denn etwas über die Gräfin Laufey und den entwendeten Gegenstand wüssten. Aber niemand antwortete mir. Die Menschen gingen einfach weiter ihres Weges, trieben hierhin und dorthin, schienen sich ihrer selbst gar nicht bewusst zu sein. Es war ein Ort der Verlorenen. Waren sie womöglich alle wie ich? Auf der Suche nach etwas unauffindbarem? Hatte Gangleri sie in eine Falle gelockt? War dieser Ort deshalb Laufeys Vergnügungspark, weil sie sich an der sinnlosen Suche der Verlorenen vergnügte? Und würde ich nun selbst eines dieser bemitleidenswerten Geschöpfe werden, dazu gezwungen, unablässig in diesem Park unterwegs zu sein, mit allen Fahrgeräten zu fahren, jede Bude zu besuchen, auf der Suche nach etwas das nicht existierte, in der absurden Hoffnung, es doch noch zu finden?

Verzweiflung beschlich mich. Ich setzt mich vor einer Schlangenfigur, die Aushängeschild für ein besonders spektakulär aussehendes Fahrgeschäft war, auf eine Bank und grübelte hilflos vor mich hin. Bis ich gerettet wurde.

Ich weiß bis heute nicht wer oder was mir damals wirklich zu Hilfe kam. Vermutlich hatte Gangleri da seine Finger im Spiel. Jedenfalls kam sie  in Form eines kleinen Jungen, der an der Hand seiner Mutter vor mir stehengeblieben war. Es sah mich an und sagt mit gar nicht kindlicher Stimme, sondern mit der brüchigen Stimme einer alten Frau zu mir: „Was niemand bemerkt.“
Dann zog seine Mutter ihn weiter und es war erneut totenstill.

Was niemand bemerkt – Das lenkte meine Gedanken in die richtige Richtung. Ich begann zu beobachten, worauf die Menschen hier ihre Aufmerksamkeit richteten. Sie sahen auf die rasenden Fahrgelegenheiten, auf die Preise in den Schießbuden, auf andere Menschen und auf die Displays ihrer Handys. Sie sahen alles künstliche, große, pompöse, und dazwischen sich selbst, indem sie sich insgeheim unablässig mit anderen verglichen. Aber was sahen sie nicht?

Ich stand auf und ging ein paar Schritte, den Blick absichtlich auf den Boden geheftet und abgewandt von all diesen Dingen. Dann sah ich es. Hier und da gab es Risse im Asphalt, aus denen unscheinbare Ranken wuchsen. Ich ging zu so einem Gewächs, bückte mich und entdeckte eine kleine Windenblüte darauf. Ich pflückte sie, hielt sie in der flachen Hand, stand auf und blickte mich um.

 

Alle Fahrgelegenheiten standen still. Alle Menschen waren stehengeblieben und starrten auf die Blüte in meiner Hand. Dann setzten sie sich langsam in Bewegung, kamen zögerlich, Schritt für Schritt auf mich zu, die Hände nach der Blüte ausgestreckt.

Ich wusste nun, dass ich gefunden hatte, was die Gräfin Gangleri einst gestohlen hatte. Eine alte Frau erreichte mich zuerst. Sie zögerte einen Moment, dann griff sie nach der Windenblüte. Ihre Finger umschlossen sie vorsichtig. In diesem Augenblick verschwamm die Welt vor meinen Augen. Schwärze verschlang den Vergnügungspark und die Menschen rings um mich herum. Ich hatte das Gefühl zu fallen. Ein paar Atemzüge später wachte ich an dem Ort auf, von dem ich zu meiner Reise aufgebrochen war, und den ich nicht nennen darf, damit er seine Macht nicht verliert.

Ich hatte also Gangleris Aufgabe erfüllt und er hatte mich wie vereinbart aus seiner Welt heimkehren lassen. Aber was war es, was ich da gefunden hatte?

Mit septembermärchigen Grüssen, Manfred Herrmann.

2 observations on “Gangleris Welt- Teil 3
  1. lella

    spannend, wunderVoll erzählt, passend bebildert und herr-lich gelungen!
    Danke!!!!!
    habe diese Geschichte voller Freude gelesen und hoffe, Du machst in dem Stil weiter!
    umärmel lella

     
  2. Karin Herrmann

    Du bist ein richtiger Märchenonkel aber die Bilder (besonders das Ringelspiel ) gefallen ir sehr gut