Wenn du sagst, du hättest etwas schönes, tolles, faszinierendes, bewegendes, eindrucksvolles etc. gesehen, dann wirst du damit – ohne dir dessen wirklich bewusst zu sein- in den allermeisten Fällen nicht einzig und allein den optischen Eindruck der betreffenden Sache meinen. In dem Moment, wo du gesehen hast, haben auch alle deine anderen Sinne Eindrücke aufgenommen. Du hast vielleicht den warmen Sommerwind auf deiner Haut gespürt, hast das frisch gemähte Heu am nahen Feld gerochen, aus den Ohrstöpseln deines MP3 Players ist dein Lieblingssong erklungen, und auf deiner Zunge hattest du noch den Nachgeschmack eines herrlich kühlen Schluckes Wasser. Dann hast du den Auslöser gedrückt. Zu hause zeigst du voller Stolz deiner besseren Hälfte die Landschaftsaufnahme, aber die sagt nur: „Ja, ein paar Felder eben. Finde ich jetzt nicht so interessant.“

Tja, und wenn du deine Erinnerungen an den Zeitpunkt der Aufnahmen einmal weglässt, musst du ihr zustimmen. Ein paar Felder. Darüber ein blassblauer Himmel. Ein bisschen überbelichtet ist es auch. Schief irgendwie. Und wo kommen die komischen Stangen am linken Bildrand eigentlich her? Also kein besonderes Bild eigentlich.

Gratuliere, du hast soeben die grundlegende Schwierigkeit in der Fotografie begriffen. Deine Kamera kann, so wie deine Augen, lediglich das von Gegenständen reflektierte Licht aufzeichnen. Was du mit deinen anderen Sinnen wahrnimmst, was du dabei denkst und fühlst, dies alles geht deiner Kamera am Allerwertesten vorbei. Zudem siehst du mit deinen beiden Augen immer räumlich, während deine einäugige  Kamera letztlich flache, zweidimensionale Bilder ausspuckt. Außerdem……..Nun ja, du siehst worauf es hinausläuft- So zu fotografieren wie man gemeinhin sieht, funktioniert nicht. Auch wenn die Werbung einem das gerne vorgaukelt, letztlich muss man lernen, bei der Aufnahmen zu sehen wie das fertige Bild dann aussehen wird. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es geht. Eine gute Übung hierzu, die du jederzeit und auch ganz ohne Kamera machen kannst, besteht darin, dich einfach immer wieder zu fragen:

„Was sehe ich gerade?“

Dann schaust du  geradeaus und zählst dir zunächst mal einfach die Dinge auf die da in deinem Blickfeld liegen. Wenn du dir halbwegs sicher bist, alles gesehen zu haben, dann beschreibe dir, wie diese Dinge aussehen. Welche Farbe haben sie? Welche Form? Hast du dir diese Dinge nun beschrieben, dann frage dich: Woher kommt das Licht? Wie ist das Licht?

Schau jetzt noch mal genau hin. Ist die Wiese wirklich gleichmäßig grün? Werfen die Dinge Schatten? Wie sehen die Schatten aus? In welche Richtung verlaufen sie?

Aber es geht noch weiter. Gibt es so etwas wie Linien in deinem Bild? Also etwa Straßen die irgendwo hinführen, oder Geländer, oder die Horizontlinie, oder Gebäudekanten, Inneneinrichtung, die Linien von Nase, Mund etc…. .Und wie stehen diese Linien zueinander, wie verlaufen sie? Was ist mit den einzelnen Komponenten in deinem Blickfeld. Wie stehen sie zueinander? Wie verlaufen die Linien zwischen ihnen?

Natürlich ist diese Übung nicht das Allheilmittel zur Entwicklung des fotografischen Blickes. Man muss sich einfach auch mit Dingen wie Bildgestaltung auseinandersetzen, sowie seine Bilder dann anhand der verschiedenen Gestaltungsregeln kritisch betrachten und oder von dritten kritisch betrachten lassen. Vor allem muss man auch einfach eine ganze Menge Bilder machen, denn wie Helmut Newton gesagt hat: „Die ersten 10 000 Bilder sind die schlechtesten.“ 🙂
Also hab Geduld. Mit der Zeit beginnt man dann von selbst auf die oben beschriebene Art und Weise wahrzunehmen. Es geht ein bisschen schneller wenn man sich immer wieder die Frage stellt: „Was sehe ich gerade?“ Und irgendwann sieht man dann die Felder so, dass auch die bessere Hälfte meint: „Ja, nicht ganz so schlecht.“ 😉

So, weiter geht es hier mit dem Thema „Bildgestaltung„.