Nachdem ich mir vom Wächter teuren Durchlass erkauft und er die Pforte hinter mir verschlossen hatte, fand ich mich in Gangleris trüber Welt wieder. Ein alter Seelenbewacher starrte mich an. Ich weiß nicht welche Seele er gefangen hielt, aber sie schien mir dunkel zu sein. Unberechenbar. Die Bewacher nehmen ja oft etwas vom Charakter ihrer Gefangenen an. Als dann noch leicht seine Äste erzitterten obwohl nicht der leiseste Wind sich regte, sah ich es als Warnung und ging weiter.

Schon kurze Zeit später erblickte ich zum ersten mal das Haus des Jägers. Da dachte ich noch, es würde eine Familie beherbergen, oder zumindest einer größeren Jägerschaft zur Versammlung dienen. Wie ich später erfuhr, wohnt seit jeher und für immer dar, nur ein einziger Jäger in dem großen Haus. Ein Jäger. Der Jäger. Der einzige den Gangleri in seiner Welt duldet, und dem er keinen eigenen Namen erlaubt. Obwohl ich es mehrmals versuchte, wurde es mir niemals gestattet, das Haus des Jägers zu betreten. Nur eine alte Seherin durfte ein einziges mal, von Gangleri dazu ermächtigt, das Haus betreten und nach dem Waidmann sehen, nachdem dieser drei Wochen lang nicht in den Wäldern gejagt hatte. Sie erzählte mir, es gebe keine Lichter in dem Haus. Aber die Wände seien über und über mit Tiertrophäen bedeckt, deren Augen im Dunkeln leuchten und die Räume in fahles Licht tauchen würde. In einem solchen Raum hätte sie den Jäger auf einem alten Holzstuhl sitzend vorgefunden, erzählte mir die Seherin. Er schlief nicht, aber er schien konzentriert auf etwas zu lauschen. Sie hätte ihn geweckt, so die Seherin weiter, und ihm Gangleris Botschaft überbracht. Aber er hätte sie nicht hören wollen sondern nur gesagt, dass er weiter mit den Tieren träumen wolle. Doch am nächsten Tag kehrte er doch als Waidmann in den Wald zurück. Was mich nicht wunderte, denn in Gangleris Welt hätte alles andere des Jägers Tod bedeutet.

So wie der Waidmann seinem Schicksal folgen musste, blieb es auch mir bei meiner ersten Reise in Gangleris Welt nicht erspart, meinem eigenen Weg zu folgen. Wann und in welcher Welt haben wir denn überhaupt die Wahl?

Mein Weg führte mich also direkt an das Tor eines Anwesens. Gleich neben der Pforte stand ein altes, halb verfallenes Gesindehaus, wo die Angestellten hungerten, während sich weit hinter dem Haus ein kleines Schloss erhob. Wie sich später herausstellte, war es in Besitz der Gräfin von Laufey, und hätte ich gewusst welch schreckliche Person sie ist und was mir dadurch bevorstand, wäre ich niemals über den Zaun in den Schlossgarten geklettert. So aber siegte meine Neugier und ich stieg über den Zaun. Im Nebel war es nicht weiter schwierig das Schloss zu umgehen und ungesehen in einen alten Wald hinter dem Schloss zu gelangen.

Vielleicht wäre auch nichts weiter geschehen wenn ich mich nicht nach dem Schloss umgedreht hätte. In Gangleris Welt ist es häufig von Vorteil nicht zurück zu blicken. Trotzdem tun die Menschen es oft. Ich drehte mich also um, und wo eben noch das prächtige Schloss gestanden hatte, erhoben sich nun alte verfallende Mauern. Kleine, und machmal auch größere Steine, brachen unablässig aus dem Mauerwerk und rieselten zu Boden. Es klang wie ein leises, weit entferntes Lachen. Laufeys Lachen. Aber da wusste ich noch nichts von ihr und hatte nur Angst die Mauer könnte einstürzen und mich erschlagen. Also lief ich weg. Doch kaum war ich hundert Meter weit durchs Unterholz gestolpert, versperrte mir ein Fels den Weg. Ich schlug eine andere Richtung ein, doch auch hier versperrte mir nach hundert Meter der selbe Fels den Weg. Und wohin ich auch lief, stets tat sich der selbe Fels vor mir auf, immer hörte ich Laufeys klickendes Stein-lachen in meinem Rücken. Böser Zauber!

Nicht lange und ich musste nach Atem ringend vor der Felswand stehen bleiben. Das Klickern und Klackern schien langsam näher zu kommen. „Gangleri, Gangleri!“, keuchte ich da in aller größter Not, „Mache mir Weg, wag ich zu gehen!“. Dieser alte Spruch war der einzige der mir in diesem Moment einfiel. Aber Gangleri hörte mich. In der Felswand tat sich ein Spalt auf, breit genug für einen schmalen Mann wie mich. Ich schlüpfte hindurch. Absolute Finsternis umfing mich, als sich der Spalt hinter mir gleich wieder schloss. Erschöpft lehnte ich mich erst mal mit dem Rücken gegen den Felsen und haderte damit, kein Licht auf meine Reise mitgenommen zu haben. Da aber, wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte, von nichts eben nichts kommt, raffte ich mich schließlich auf und tastet mich der Wand entlang durch die Dunkelheit.

So gelangte ich in einen schmalen Gang. Ich bildete mir ein einen frischen Luftzug um meine zu neugierige Nase zu spüren, tat es aber anfangs noch als Einbildung ab. Doch dann entdeckte ich auch einen schwachen Lichtschimmer am Ende des Tunnels. So schnell ich konnte hielt ich darauf dazu. Der Gang verbreiterte sich in einen hohen Raum. Linkerhand fiel Licht durch eine vergitterte Öffnung an der Höhlendecke. Doch viel wichtiger war eine niedere geöffnete Türe  zu meiner Rechten. Ich lief darauf zu und bemerkte, dass die Nebel wohl aufgelockert hatten und Gangleris Welt ein wenig Farbe zurückgegeben hatten. Einen Moment lang hielt ich mich für den glücklichsten Menschen im ganzen Universum. Dann schlug die Türe plötzlich zu, drei Schritte bevor ich hindurch gewesen wäre. Ich warf mich gegen das eisenbeschlagene Holz, aber die Türe bewegte sich nicht. Statt dessen hörte ich, wie draußen noch mehrere Riegel vorgeschoben wurden. Frustriert trat ich gegen das Hindernis, stieß mir schmerzhaft den Zeh und hockte mich dann fluchend und meinen Zeh reibend auf einen Stein.

Da saß ich also, eingesperrt wie ein Tier. Das einzige Licht fiel durch die vergitterte Öffnung. Zu hoch um sie zu erreichen, die Stäbe zu eng um durchzuschlüpfen, sollte dennoch jemand nach oben gelangen. Ich sah durch das Gitter und lauschte dem Wind der jetzt aufgekommen war. Es war mir, als würde ich eine Männer und eine Frauenstimme darin hören, die verhandelten wer von beiden nun meine Seele, und wer mein Herz bekommen sollte. Denn Seele und Herz sind es oft, was den Gefangenen in Gangleris Welt genommen wird.

Fortsetzung denkbar. Mit Novembermärchigen Grüssen, Manfred Herrmann 🙂

Und hier geht es nun endlich zur Fortsetzung: https://www.herr-m.at/?p=999